Da hat sie mich gestern auf dem falschen Fuß erwischt, die Psychologin auf der Transplant-Ambulanz. Mir ging das Haferl über bei ihrer allerersten Frage, was ich denn früher, also vor meinem Kranksein, gerne gemacht habe.
„Sie haben noch immer nicht ganz akzeptiert, dass Sie nicht mehr gesund werden“, fasste sie mein lautloses Geheule zusammen. Und ja, sie hat Recht.
In herausfordernden Situationen falle ich zurück ins innerliche Jammern, betrauere ich den Verlust meines alten Lebens, meist in Form von Tränen. Wenn es mir halbwegs gut geht, packe ich alles leichter.
Der gestrige Termin war begleitet von Anspannung, Unsicherheit und einem Bandscheibenvorfall, der mit lästigen Schmerzen daherkam. So war ich bei diesem Gespräch in einem eher instabilen Zustand.
Es ging dabei um die Frage, ob ich schon auf die Liste für ein Spenderorgan komme.
Das würde heißen: Rund um die Uhr erreichbar sein, auf den Anruf warten, eine halbe Stunde später abgeholt werden, nach Wien zur OP fahren.
Fazit ist:
Ich bin noch nicht so weit, es geht mir noch "zu gut".
Mein Zustand ist momentan stabil.
Ich habe noch Zeit und ich brauche noch Zeit.
Mehr Zeit für meinen Körper, um wieder fitter zu werden.
Mehr Bewegung und Training sind angesagt. Der Bandscheibenvorfall kam ja nicht von ungefähr.
Ich war sehr träge in letzter Zeit, weil jede Aktivität einfach unbeschreiblich anstrengend ist und ich zu wenig Luft bekomme.
Mit dem zusätzlichen Sauerstoff wird das hoffentlich etwas leichter werden. Bisher habe ich mich gesträubt, mit dem Gerät und dem Schlauch in der Nase spazieren zu gehen. Wenn es aber nun meiner körperlichen Kräftigung in Vorbereitung auf die Transplant und dem Heilungsprozess danach dient, so werde ich auch das aushalten und meine Scham überwinden.
Mehr Zeit für meine hinterherhinkende Seele, um den Rückstand etwas aufzuholen, um besser verarbeiten zu können, was die äußeren Umstände vorgeben.
So sehe ich in diesem „Mehr“ an Vorbereitungszeit einen günstigen Umstand für mich. Von medizinischer Seite ist der Grundstein gelegt.
Alle verpflichtenden Untersuchungen – und das waren viele – sind absolviert. Ich hatte sozusagen einen Rundumservice.
Die Erkenntnis, dass - abgesehen von meiner Lunge, die nur mehr ein Viertel ihrer eigentlichen Kapazität hat - sehr viel (genaugenommen alles, was untersucht wurde) gesund ist, tut mir gut.
Ich habe unterschrieben, was zu unterschreiben war, wurde über die OP aufgeklärt und habe einer Transplant zugestimmt. Bei einer Verschlechterung bin ich also aufgefangen in diesem
Sicherheitsnetz.
Was ich früher gerne gemacht habe, fragt mich die Psychologin.
Sport, Theater, Kräuterwanderungen, tanzen, singen, sage ich.
All das wird wieder gehen, meint sie.
Singen geht auch jetzt, mischt sich die Internistin ein.
Stimmt, denke ich.
Recht schön tut es nicht, aber es geht.
Alles geht seinen Gang.
Und ich geh jetzt um meine Gitarre.
© Carmen Wurm
siehe auch:
https://www.meigschicht.at/2024-03-07auf-den-spuren-von-roland-kaiser/
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