Teller verlangt nach dem männlichen Artikel, ich weiß.
„Der Teller“ heißt es korrekt.
Aber bei diesem Teller, bei diesem einen, lasse ich mich zu einem grammatikalischen Fehler hinreißen.
Das ist das Teller.
Das Teller meiner Kindheitsurlaube bei der Oma.
Das Teller, auf dem sie mir das Butterbrot in 3cm-Schnittchen serviert hat.
Das Teller, das beim Abwasch sicher tausend Mal durch ihre Hände gegangen ist.
Möglicherweise auch das Teller, das den Retourgang-Semmelschmarrn meiner Schwester wieder aufnehmen musste, als wir beim Mittagessen saßen, die Oma zwischen Küche und Esstisch hin und her wuselte und mit Nachdruck meinte, wir sollten brav aufessen.
Das Teller, von dem ich gewiss auch ihren unvergleichlich guten Frankfurter Kranz genascht habe.
Das Teller hat mindestens vierzig Jahre überlebt, als einziges vom ganzen Service, und gehört jetzt mir. Ich wollte nichts von Omas Schmuck.
Aber dieses Teller, das Teller, wollte ich.
Mein Morgen ist gleich ein bisschen freundlicher, wenn ich beim Aufdecken fürs Frühstück ins Kastl greife und es, das Teller, dabei ist. Es ist mein Teller.
Ja, ich verbinde mit diesem Teller Urlaubserinnerungen.
Urlaubserinnerungen an die Sommerwochen in Neustift, die meine Schwester Eve und ich bei Oma und Opa verbrachten.
Da durften wir alleine einkaufen gehen, weil zwei Geschäfte – im Gegensatz zu daheim – fußläufig zu erreichen war. War das etwas Besonders!
Sehr ehrfürchtig gingen wir mit Omas Geldtascherl und einem Korb zum Lachtner oder Wöss. Vielleicht kauften wir ab und zu sogar eine Kleinigkeit, die nicht auf dem Einkaufszettel stand. Aber so genau weiß ich das nicht mehr.
Wenn wir nicht gerade einkaufen oder mit unseren Neustifter Freundinnen unterwegs waren, gingen wir mit Oma „Schule putzen“. Oma war jahrelang für die Sauberkeit in Kindergarten und Volksschule verantwortlich und im Sommer stand „Großputz“ auf dem Plan. Während Oma emsig saubermachte, schlichen wir im leeren Schulgebäude umher, inspizierten die Klassen und durften sogar ins Lehrerzimmer. Das war spannend. Den Geruch von damals kann ich heute noch abrufen. Schule riecht für mich noch immer wie in diesen Sommern.
Manchmal war uns im Urlaub auch langweilig.
Dann musste ein neues Spiel her.
Eines Tages schnappten wir uns zwei Klappstühle, Stifte und Papier und setzen uns in den straßenseitigen Teil des Gartens.
Der Grenzübergang nach Deutschland ist nur ein paar Meter entfernt, und so gab es schon in den 1980er Jahren regen Durchzugsverkehr.
Stundenlang waren wir damit beschäftigt, im Garten zu sitzen und die Kennzeichen der vorbeifahrenden Fahrzeuge zu notieren. Die Herausforderung dabei war, nur ja kein Gefährt zu übersehen. In den Stoßzeiten, wenn zum Beispiel drei Autos hintereinander fuhren und von der anderen Seite auch noch ein Traktor und ein Moped daherkamen, war Teamwork gefragt. Eine musste sich die Nummern merken, die andere schrieb auf.
Wir wollten alle Fahrzeuge lückenlos erfassen, arbeiteten gewissenhaft und ernst, fast so, als ob wir später vor eine Kennzeichen-Prüfungskommission müssten.
Sehr wahrscheinlich hat Oma am Abend mit unseren Listen eingeheizt.
Heute hat das Haus meiner Großeltern, in dem ich meine ersten beiden Lebensjahre und etliche Sommer verbracht habe, neue Besitzer.
Wenn wir ab und zu auf der Durchfahrt daran vorbeikommen, blicke ich etwas wehmütig in den Garten. Dorthin, wo wir als Kinder neben dem Essigbaum saßen und voller Begeisterung „Autonummern aufschreiben“ spielten.
Das Teller, das jetzt daheim in meiner Küche steht, schlägt eine kleine Brücke in diese Zeit.
© Carmen Wurm
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Agnes u.Volker (Sonntag, 24 März 2024 16:24)
Schöne Kindheitserinnerungen ohne Spielzeug und Handy.
Carmen (Sonntag, 24 März 2024 18:25)
;-))