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Dachgespräch

Über den Dächern Wiens sitzen zwei junge Männer.

Das Bild muss wohl in den Jahren um 1937/1938 gemacht worden sein.

In weiße Mäntel gekleidet, könnten die beiden als Ärzte durchgehen.

Einer von ihnen ist unser Opa Ludwig.

Der junge Mann links, mit dichtem schwarzem Haar, die Arme verschränkt, die Beine in einer Kniebundhose und weißen Stutzen.

Die Männer verbringen wohl ihre Mittagspause auf dem Dach des Spitals und sind in ein Gespräch vertieft. Fachsimpeln werden sie halt.

 

Als mir das Bild vor einigen Monaten zum ersten Mal in die Hände fiel, war ich sehr überrascht, den Opa in dieser unbekannten Perspektive zu sehen.

 

Ich hatte ihn als alten Mann gekannt. Als alten Mann, den wir alle nur "Dati" nannten, mit tiefen Furchen im Gesicht, das dichte Haar schneeweiß, oft nur mit Wollsocken unterwegs, rauchend.

Gespannt warteten wir auf die Samstagabende mit ihm, wenn er sich ans Rasieren machte. Da saßen wir Kinder dann rund um den großen Stubentisch, Opa schäumte seine Seife mit einem „Bemstl“ (Rasierpinsel) auf, schob das Kinn nach vorne und begann mit der Rasur-Prozedur. Zwischendurch erlaubte er sich in seiner schelmischen Art, unsere Wangen ebenfalls ein wenig mit Schaum zu bepinseln und dabei zu behaupten, uns würde nun auch ein Bart wachsen (Opa, du hattest ein bisschen recht…).

Als er dann mit dem scharfen Rasiermesser akkurat Strich für Strich gemacht hatte und sein faltiges Gesicht wieder bart-frei war, waren wir Kinder erleichtert, dass Opa das ohne Schnittwunden überstanden hatte.

 

Dass dieser Opa auch einmal jung gewesen war, wäre uns damals gar nicht in den kindlichen Sinn gekommen.

Dass man ihn für seine Zeit und Generation als freidenkerisch und unkonventionell bezeichnen könnte, auch nicht.

Dass er unerfüllte Lebens-Träume gehabt hatte, noch viel weniger.

 

Er war unser friedfertiger, betagter Großvater mit seinem unverkennbaren, leicht krummen Gang, seiner Geduld und Gemütsruhe.

Selbst mit über siebzig blitzte bei ihm noch der Lausbub durch.

 

Der Schalk saß ihm im Nacken, er selbst am liebsten auf der „Gossnbeng“.

Dort rauchte er Pfeife oder Falk.

Dort schnitzte er uns Pfeiferl und schnitt mit dem gleichen Taschenmesser Speck in feine Streifen, die er uns gemächlich reichte.

Dort blickte er auf sein Leben zurück.

 

Dass er gerne Krankenpfleger geworden wäre, wusste ich nicht.

Er war seiner Schwester Friederike nach Wien ins Hartmannspital gefolgt, die 1937 in den Orden der Franziskanerinnen eingetreten war.

Opa arbeitete dort als Spitaldiener.

Dann kam der Krieg.

Als sein Bruder Georg, der als Hoferbe vorgesehen gewesen war, in diesem sein junges Leben lassen musste, wurde Opa nach seiner Heimkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft 1947 zwangsläufig Hofübernehmer. 

 

Seiner Frau Hedwig, unserer Oma, und ihm war reicher Kindersegen beschert. 12 Kindern schenkten sie das Leben, wobei aus diesen wieder 24 Enkel und über 30 Urenkel hervorgingen und noch hervorgehen :-)...

 

 © Carmen Wurm

Ludwig Lauß
geboren am 26. Oktober 1910 in Hinternebelberg 47
verstorben am 23. August 1993 ebenda

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Kommentare: 4
  • #1

    Agnes u.Volker (Sonntag, 04 Februar 2024 15:20)

    Liebe Carmen,
    aufschlußreich und interessant ,regt zu eigenen Rückblicken an,doch fehlt uns die Gabe es so eindrucksvoll zu schildern.

  • #2

    Carmen (Montag, 05 Februar 2024 12:41)

    Vielen Dank für eure netten Kommentare!

  • #3

    Mike (Montag, 11 März 2024 11:48)

    Ganz schöne Erzählung mit realistischem Hintergrund!������

  • #4

    Carmen (Montag, 11 März 2024 13:51)

    Danke Onkel Mike!
    So sind meine Erinnerungen an den Opa... ihr werdet sicher andere haben ;-)