Die braune Kuh hat gefressen. Sie ist satt. Nun liegt sie im Schatten und kaut gemächlich vor sich hin. Unheimlich entspannt wirkt sie, wie sie sich erhobenen Hauptes und mit gleichmütiger Miene
all das Unverdaute noch einmal durch den Kopf beziehungsweise durchs Maul gehen lässt. Keine Spur von Hektik oder Unruhe oder Aufregung.
Jetzt ist Zeit zu kauen.
Jetzt kommt all das zurück, was noch nicht ganz gefressen ist.
Jetzt wird es verdaut.
Ich sollte mir ein Beispiel an der Kuh nehmen.
Ihr käme nie in den Sinn, das Gras, das sie vor zwei Jahren gefressen hat, noch einmal hochkommen zu lassen.
Weil sie das längst verdaut, abgeschlossen und losgelassen hat.
Weil längst junges Gras darüber gewachsen ist.
Die Kuh verdaut nur das, was im Moment zu verdauen ist.
Nichts Altes.
Die Kuh würde auch nie versuchen, das Gras, das noch auf der Wiese steht, im Voraus zu verdauen.
Weil sie ja noch gar nicht weiß, ob sie den Löwenzahn, den Rotschwingel, die Glockenblume, den Wiesenfuchsschwanz oder alles zusammen erwischt.
Weil sie ja noch gar nicht weiß, ob sie es grün, vergärt oder getrocknet zu verdauen hat.
Die Kuh verdaut nur das, was im Moment zu verdauen ist.
Nichts Zukünftiges.
Ich sollte mir wirklich ein Beispiel an der Kuh nehmen.
Ich wäre auch gerne so … kuhl.
Aber ich möchte dann bitte auch vier Mägen.
Und Hörner.
Und ein dickes Fell.
© Carmen Wurm
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